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Quelle: Radim Schreiber; FireflyExperience.org |
Als wir unser Abendessen beendet und unsere Schüsseln und Essstäbchen abgewaschen hatten, verließ ich den Tempel. Ich ging am Trainingsgelände vorbei und folgte dem befestigten, kurvenreichen Weg bis ich einen kleinen, achteckigen, offenen Aussichtspavillon fand. Es sah nahezu perfekt aus, um sich nach einem langen Trainingstag dort niederzulassen und auszuruhen.
Ich tauchte in meine Gedanken ein, die wie Tornados wirbelten. Ich nahm jeden einzelnen und führte ihn sanft weg. Einen nach dem anderen. So wie es sein sollte. Die Last mehrerer Wochen fiel allmählich von meinen Schultern. Die ganzen Schwierigkeiten, die ich durchgemacht hatte, um mein Visum zu verlängern; die unzähligen Besuche bei verschiedenen Polizeibehörden, die mich wie eine heiße Kartoffel herumgeschleudert hatten, wie ich meine chinesischen Freunde überallhin mitgeschleppt hatte, nur um letztendlich herauszufinden, dass ich einfach meinen ehemaligen Arbeitgeber nach dem Visum hätte fragen können. All die Entscheidungen in letzter Minute, die Michal und ich auf unseren Reisen durch China getroffen hatten, die uns irgendwie auf die richtige Spur gebracht hatten. All der angehäufte Schlafmangel.
Als ich alle Zweifel, Ängste und allen Ärger losließ, entstand ein längst verlorenes Gefühl. Wieder wurde ich eine Feder auf einem Stein. Spielerisch von einer Seite zur anderen getragen, dann von einer sanften Brise weggeweht. Ich ließ mich von den Windstößen tragen und wirbelte mit meinen Flügeln wie ein fröhlich schwimmender Otter. Ich stieg und tauchte in einer nahtlosen Bewegung. Eine totale Freiheit umarmte mich. Sie schmolz das Innere meines Körpers und breitete sich bis in seinem äußersten Teile aus.
Ich schwebte in einem kurzlebigen Moment, der genauso gut die Ewigkeit hätte sein können. Ich öffnete meine Augen und fand mich im Dunkeln wieder. Als mein Geist erwachte, dämmerte der Abend bereits und schwaches Mondlicht wieß mir den Weg zurück zum Tempel. Bald stellte ich fest, dass ich nicht allein in der Dunkelheit war.
Dann erschien das erste Licht. Fasziniert beobachtete ich, wie der Wald aufleuchtete. Wenige wurden zu vielen und viele wurden zu zahllosen. Einige schwebten wie Rosenblütenblätter durch die Luft, einige flogen im Zickzack zwischen den Bäumen umher und andere stiegen in einer schönen Sinuskurve auf.
Es fühlte sich an, als wären die Glühwürmchen schon seit Stunden dort gewesen, wollten sich aber nicht offenbaren - erst als ich völlig still wurde, entschlossen sie sich dazu. Sie vielleicht vergaßen, dass ich dort war oder es war ihnen einfach egal.
Ermutigt durch meine Untätigkeit, flogen die Glühwürmchen immer näher. Sie fürchteten mich überhaupt nicht! Der Teppich dieser kleinen Flammen schwamm wie eine Einheit durch die Kühlluft. Als ob ein Geist des Waldes mich mit seinem Blick prüfte, sich vorsichtig bewegte und meinen Wert einschätzte. Als sie sich um mich umrundeten, tauchte plötzlich einer neben meiner linken Wange auf. Wenn ich in Freude ausbrechen könnte, wäre ich eine Supernova geworden.
Ich dachte an die große Anzahl der Glühwürmchen, entschied mich jedoch, meinen Kopf nicht wie eine Wetterfahne herumzuschlenkern. Ich bewegte mich überhaupt nicht. Der Anblick, den ich direkt vor mir hatte, war so perfekt, wie er besser nicht sein könnte. Und trotz der bezaubernden Stille hallte Musik tausender Saiten in meinen Ohren nach.
Dann streckte der Waldgeist seine Hand aus. Wir wälzten uns durch den Wald, tummelten uns um die Bäume, erhoben uns über die Sträuche, wirbelten durch die Luftströme und stiegen auf den gewundenen Pfad ab. Zurück zu meinem Körper, der friedlich im Pavillon saß. Zurück zur Realität, kaum noch von einem Sommertraum zu unterscheiden.
Der zeitlose Moment löste sich in der Luft auf, aber sein Eindruck blieb tief in meiner Erinnerung verankert. Ich wusste, dass ich zum Tempel zurückgehen musste, bevor die Mönche ihn für die Nacht schließen würden. Ich verneigte mich und sah mich zum letzten Mal um. Danke, Waldgeist. Es war eine Ehre.
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